Glaubens- und Religionsfreiheit bilden essenzielle Grundpfeiler einer liberalen Gesellschaft. Dabei bedeutet Glaubensfreiheit stets sowohl die Freiheit zur Religionsausübung als auch die Freiheit, ohne religiös motivierte Vorgaben und Einschränkungen leben zu können. Freiheit zur und Freiheit von der Religion gleichermaßen zu gewährleisten und auszubalancieren, ist daher Aufgabe des liberalen, weltanschaulich neutralen Staates und Grundsatz liberaler Religionspolitik.
Im Wissen und in der Akzeptanz, dass Religion auch Teil der liberalen Gesellschaft ist, strebt liberale Religionspolitik nicht danach, Religion aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen, sondern die weltliche und strukturelle Macht von Religionsgemeinschaften zu beschränken. Unser Ziel ist daher kein strikt laizistischer, sondern stets ein säkularer Staat, dessen Institutionen sich weltanschaulicher Neutralität verpflichtet sehen und der gerade durch seine Zurückhaltung in religiösen Fragen den Bürgerinnen und Bürgern Raum zur religiösen und weltanschaulichen Entfaltung sichert.
Religion und Brauchtum
Insbesondere die christliche und jüdische Religion hat großen Einfluss auf die kulturelle Prägung unseres Landes und unserer Gesellschaft genommen. Viele ursprünglich religiös begründete Traditionen ziehen ihre gesellschaftliche Akzeptanz heute daraus, dass an die Stelle der religiösen Bedeutung eine kulturelle Bedeutung getreten ist, die – wie etwa beim Weihnachtsfest – inzwischen über Konfessionsgrenzen hinweg geteilt und gelebt wird. Der Verweis auf eine ursprünglich religiöse Legitimation einer staatlichen Praxis kann daher weder ihren Erhalt noch ihre Abschaffung begründen. Wie in allen anderen Fragen staatlichen Handelns kann unser Maßstab nur sein, ob es verhältnismäßig oder unverhältnismäßig in bürgerliche Freiheiten eingreift. Daraus ergeben sich für uns die folgenden Forderungen:
- Christliche Feiertage, die durch Brauchtum und Akzeptanz hohe gesamtgesellschaftliche Bedeutung erhalten – wie die Weihnachts- und die Osterfeiertage oder Christi Himmelfahrt („Vatertag“) und Pfingsten–, wollen wir als gesetzliche Feiertage erhalten. Gesetzliche Feiertage ohne Verbindung zu gesamtgesellschaftlichen Traditionen sollen zugunsten von säkularen Feiertagen oder flexiblen Feiertagsmodellen abgeschafft werden.
- Tanz- und Filmverbote an sogenannten stillen Feiertagen stellen unverhältnismäßige Eingriffe in die Freiheit von Konfessionslosen und Andersgläubigen dar und sollen daher abgeschafft werden.
- Seinen Ruhetag soll jeder frei wählen dürfen. Den staatlichen Sonntagsschutz und das Arbeitsverbot an Sonntagen wollen wir abschaffen.
- Der Straftatbestand der Blasphemie ist abzuschaffen. Wo der öffentliche Friede durch die Verunglimpfung anderer Religionen bedroht ist, ist eine strafrechtliche Verfolgung auch ohne Blasphemie-Paragraf möglich und auch geboten.
Staat und religiöse Symbolik
Der Staat muss auch in seinem Auftreten gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern weltanschauliche Neutralität waren, ohne historische Kontexte oder Traditionen in unverhältnismäßigem Ausmaß auszutilgen. Das bedeutet für uns:
- Die Anbringung religiöser Glaubenssymbole in staatlichen Einrichtungen lehnen wir ab. Bereits in der Bausubstanz vorhandene religiöse Symbole oder religiöse Symbole beim Bau öffentlicher Gebäude nach historischen Vorbildern – etwa Kreuz und Schriftzüge auf dem Berliner Humboldt-Forum – wollen wir erhalten.
- Den Gottesbezug in der Grundgesetzpräambel hat als im historischen Kontext gewachsene Demutsformel seine Legitimität und nimmt darüber hinaus auch keinen Einfluss auf die säkulare Verfassung des Staates. Forderungen nach einer Streichung teilen wir daher nicht. Passagen einiger Landesverfassungen, in denen die „Ehrfurcht vor Gott“ zum Erziehungsziel erhoben wird, sind hingegen nicht mit dem weltanschaulichen Neutralitätsgebot eines säkularen Staates vereinbar und sollten daher in Verantwortung der jeweiligen Bundesländer ersetzt werden.
- Die aktuelle Form des deutschen Amtseides wollen wir erhalten.
Staat und Religionsgemeinschaften
Die Trennung von Staat und Kirche ist Voraussetzung für einen weltanschaulich neutralen Staat. Wir fordern daher:
- Die Staatsleistungen an die Kirchen müssen abgelöst werden.
- Der Austritt aus einer Religionsgemeinschaft muss bürokratie- und gebührenlos jederzeit möglich sein.
- Kirchen müssen ihre Bischöfe ohne jeden staatlichen Einfluss einsetzen dürfen. Gleichzeitig fordern wir die Abschaffung von Sonderrechten der Kirchen bei der Besetzung von staatlichen Gremien, beispielsweise den Rundfunkräten und die Aufhebung der Sendungsrechte.
- Das für alle geltende Arbeitsrecht schützt die Freiheit von Arbeitgebern, bei der Personalauswahl Belange zu berücksichtigen, welche sich aus der politischen, weltanschaulichen oder religiösen Tendenz des Betriebs ergeben. Eine hiervon losgelöste Freistellung der Kirchen vom staatlichen Arbeitsrecht ist auf seelsorgerische Tätigkeiten einzugrenzen.
- Religionsgemeinschaften müssen die Möglichkeit haben, ihre Religion durch Feste und Prozessionen auch in der Öffentlichkeit ausleben zu können und auf Ihre Gottesdienste und Festtage in geeigneter Weise hinzuweisen – etwa durch Glockengeläut oder die Shabbat Siren. Praktiken, bei denen religiöse Botschaften, Verse und Lobpreisungen in einer Weise verlautbart werden, dass man sich ihnen bis in den privaten Raum hinein kaum mehr entziehen kann, drängen Anders- und Nichtgläubigen die eigenen Religionsausübung jedoch auf unverhältnismäßige Weise auf. Der Muezzinruf, der durch Lautsprecher regelmäßig in den öffentlichen Raum dringt, sollte daher grundsätzlich nicht gestattet werden.
- Auch nicht-christlichen Religionsgemeinschaften sollte in der Art der Kirchensteuer eine gesicherte inländische Finanzierung ermöglicht werden. Die Finanzierung von Religionsgemeinschaften durch staatsnahe Institutionen aus dem Ausland wollen wir konsequent unterbinden.
Religion und Bildung
Religion ist Privatsache. Wenn religiöse Bildung jedoch nur außerhalb öffentlicher Bildungseinrichtungen stattfindet, steigt die Gefahr religiöser Indoktrination, die in Intoleranz und Radikalisierung münden kann – eine Entwicklung, die wir in vielen Teilen Deutschlands bereits feststellen müssen.
Religiöse Bildung und Aufklärung müssen daher in den öffentlichen Raum zurückgeholt werden, um sicherzustellen, dass religiöse Bildung und Wertevermittlung nicht allein dem privaten Bereich und damit unter Umständen Organisationen und Verbänden überlassen werden, deren Zielsetzungen einer weltanschaulich neutralen Gesellschaft zuwiderlaufen. Wir setzen uns daher dafür ein, dass in allen Bundesländern Schülerinnen und Schüler einen Weltanschauungsunterricht oder einen konfessionellen Religionsunterricht als Wahlpflichtfach besuchen müssen. Die Lehrkräfte des Religions- und Weltanschauungsunterricht sollten von staatlicher Seite beaufsichtigt und bezahlt werden. Der Lehrplan soll hierbei von den jeweiligen Religionsgemeinschaften entworfen und von den Ministerien bzw. Senatsverwaltungen der Länder genehmigt werden. Ein breites Angebot an konfessionellem Religionsunterricht ist durch vermehrte Kooperation zwischen den Schulen zu gewährleisten. Etwaige mittelbare oder unmittelbare Förderungen des privaten Religionsunterrichts sollen ersatzlos entfallen.
Auch mit konfessionellem Religionsunterricht bleibt die Schule ein Ort weltanschaulicher Neutralität. Dies bedeutet aber nicht, dass Schülerinnen und Schülern das Tragen religiöser Symbole oder Kleidungsstücke verboten werden kann. In diesem Zuge lehnen wir ein Kopftuchverbot für Schülerinnen ab. Wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass gegen den erklärten Willen der Kinder seitens der Eltern gehandelt wird, sind die Schulen freilich in der Pflicht, einzuschreiten und geeignete Maßnahmen zu ergreifen.
Religiösen Extremismus bekämpfen und Radikalisierung begegnen
So tolerant liberale Politik gegenüber der freien Religionsausübung sein muss, so konsequent muss sie gegen jede Form von religiösen Handlungen, die nicht mit unserem Rechtsstaat zu vereinbaren sind, vorgehen. Dabei gilt es vor allem Radikalisierungen durch Bildung entgegenzutreten. Wir fordern daher:
- Es braucht eine starke und flächendeckende Präventionsarbeit in Bezug auf religiösem Extremismus. Dabei soll der Schwerpunkt der Präventionsarbeit in Bildungseinrichtungen stattfinden. Hier sind interreligiösen Begegnungen im Rahmen von Aktionstagen, Wandertagen und im Unterricht zu stärken. Gleichzeitig sollen durch den verstärkten Einsatz von Sozialarbeitern auch Auseinandersetzungen zwischen Schülerinnen und Schülern aufgrund verschiedener Religionen Einhalt geboten werden.
- Wir wollen die Finanzierung von erfolgreichen Ausstiegs- und Deradikalisierungsangeboten ausbauen und verstetigen.
- Das Internet als sozialer Raum soll als Ort der Radikalisierung stärker in den Blick genommen werden. Radikalisierung und Diskriminierung jeglicher Art dürfen auch im Netz nicht unerkannt bleiben.
- Hasskriminalität und Volksverhetzung müssen gerade mit dem Fokus auf Rassismus und Antisemitismus konsequent verfolgt werden. Dabei sollen bei Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft, geprüft werden, ob das Entziehen des Deutschen Passes möglich ist. Sollten Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit im Rahmen der Hasskriminalität oder Volksverhetzung verurteilt werden, ist es durch eine Anpassung des Aufenthaltsgesetzes unabhängig vom Strafmaß die Abschiebung zu ermöglichen.